Temperament, Charakter, Gebäude und unsere Wünsche…
Jedes Pferd ist anders. Jedes Pferd hat seine eigene Geschichte. So sollte man bei der Ausbildung eines Pferdes auch spezifische Besonderheiten berücksichtigen.
Die heutige Zucht bringt Pferde mit einer ernormen Qualität, einem teils deutlich veränderten Exterieur, hypermobil, somit allerdings oftmals nicht mehr “so einfach zu bedienen”. Manch einer kann das moderne Dressurpferd nicht einmal sitzen, da der Schwung ausserordentlich ist und den Pferden die Zeit nicht mehr gegeben wird, sich selbst im Gleichgewicht bewegen zu können. Auch das Springvermögen ist manches Mal so enorm, dass einem bei der angesagten möglichen Höhe Angst-und-Bange wird.
Die Pferde sind zu alledem sehr sensibel, dass sie Fehler mental gar nicht so einfach verzeihen können. Da aber bei den meisten Pferden der Charakter so positiv ist und die Pferde immer leistungsbereit erscheinen, machen viele Reiter den grossen Fehler, sie zu überfordern. Wenn es dann einmal nicht klappt, ist man schnell ungerecht. Da die wenigsten Pferde sofort widersetzlich werden, glaubt manch ein Reiter, den Pferden mache das nichts aus. Auch das ein Ergebnis der modernen Zucht. Wir wollten ein funktionierendes Sportgerät und die Zucht hat es geschaffen!
Heute ist es nicht mehr normal, ein unrittiges, hektisches und übersensibles, teilweise aggressives Pferd zu haben, das einem Fehler nicht verzeiht und diese dann sofort entsprechend mit Widersetzlichkeiten quittiert.
Wenn man die alte Literatur studiert, fällt einem auf, dass es Pferde mit schwierigem Charakter früher sehr viel häufiger gab als heute. Charakter- und Temperamentsfehler sind eines der größten Probleme in der Ausbildung eines Pferdes. Sie machen auch einfache Dinge manchmal schwierig. Die Zucht hat auf die Erkenntnisse der Vergangenheit reagiert und entsprechend gehandelt. Schwierige Charaktere wurden aussortiert.
Um Reiter jedoch dazu zu veranlassen, wieder sorgfältiger zu reiten und auszubilden, wären solche Pferde sicherlich sehr vorteilhaft. Sie würden uns jeden Tag unsere Grenzen aufzeigen. Wenn man ein solches Pferd besitzt, ist man zwangsläufig in einem Prozess permanenter Selbst-Reflexion, denn was gestern funktioniert hat, muss bei einem solchen Pferd heute nicht mehr unbedingt richtig sein und morgen kann es dann vielleicht überhaupt nicht mehr zum Ziel führen!
Das Gebäude eines Pferdes ist ebenfalls sehr wichtig. Es muss bei der Ausbildung berücksichtigt werden. Kurze Pferde neigen eher zu knöchernen Problemen und Erkrankungen, im Rücken längere Pferde beispielsweise eher zu Erkrankungen im Weichteilbereich. Das Gebäude des heutigen Reitpferdes hat sich in den letzten 30 Jahren sehr zum Vorteil für uns Reiter entwickelt. Die Pferde haben meist schöne geschwungene Hälse, schräge Schultern, einen gut geformten Rücken und die entsprechend korrekt gewinkelte Hinterhand. Das macht Schwungentwicklung oder auch Versammlung vordergründig so einfach, verleitet aber auch schnell zu Fehlentscheidungen. Denn: eine sehr bewegliche Wirbelsäule bedeutet gleichzeitig auch, dass sie weniger Stabilität mit sich bringt und dadurch eine gute Muskulatur braucht, um beim oder trotz Reiten gesund zu bleiben. Die Geschwindigkeit des Muskelwachstums und die körperliche Belastbarkeit hat die Zucht in den letzten 30 Jahren nicht geändert. Das wird sie auch in Zukunft nicht schaffen. Das sollte man immer im Hinterkopf haben. Das heisst: das Pferd braucht ausreichend Zeit für eine gute Grundausbildung, die damit die notwendige Muskulatur schafft.
Für uns Reiter heißt das, dass wir sorgfältig, mit Ruhe und vor allem viel Zeit ausbilden müssen, wollen wir auch langfristig einen Partner Pferde, der körperlich und mental gesund bleiben kann. Das wird vielfach vergessen, denn der Turniererfolg in jungen Jahren entscheidet über den Preis. Mit dem Ergebnis, dass schon die Remonte oftmals mehr erreichen muss, als sie körperlich und mental verkraften kann. Wenn heute ein Pferd hektisch und nervös ist, Taktfehler zeigt, dann ist der Reiter gerne dazu bereit, dass auf die Zucht zu schieben. Wie oft hört man den Spruch: Der Vater neigte auch schon zum Pass….. kein Wunder bei dem enormen Schritt…“
Ehrlich gesagt, eine solche Aussage ist reiterlicher Unsinn und ein Hinweis darauf, dass der Reiter nicht verstanden hat, worum es geht, Ausbildungsfehler nicht sieht oder sehen will, die Schuld für genau diese Probleme dann gerne beim anderen sucht. Am liebsten beim Pferd!
Gebäude und Temperament zu berücksichtigen sowie die Fähigkeit zu besitzen, ein Pferd dem Charakter entsprechend korrekt zu behandeln und auszubilden sind mit Voraussetzungen, um es gesund und leistungsbereit zu erhalten.
Eine Korrekte Ausbildung heisst auch: Die richtigen Übungen und Lektionen zu rechten Zeit, in der passenden Dosierung und mit der notwendigen Ruhe.
Eben überlegt vorzugehen. Manchmal ist weniger mehr. Wenn es an manchen Tagen nicht so funktioniert, wie wir es gerne hätten, kann es sinnlos sein, eine Lektion an die andere zu reihen.
Charakter, Gebäude und Temperament muss man bei der Ausbildung immer berücksichtigen. Wenn man das verinnerlicht, dann entstehen viele Probleme in der Ausbildung erst gar nicht!