Braucht man heute noch einen treibenden Schenkel
…..und das Zusammenwirken der Hilfen oder kann man sich das ein oder andere sparen?
„Ausbildung beginnt erst, wenn man zum Treiben kommt; man Schenkel und Gewicht einsetzen kann.“
(Paul Stecken, 2012)
Funktioniert das? Den Unterschenkel abgestreckt, ohne treibenden Schenkel wie hier demonstriert?
Am letzten Wochenende hatte ich ein Gespräch mit einer Dame vom Fach … wie selbst sagte! Es ging um den treibenden Schenkel und dass diese endlose Treiberei bei den „Englisch-Reitern“ ja alles nur dummes Zeug sei und die Pferde ganz verrückt machen würde… Ich bin ja immer für neue Ideen und Erkenntnisse offen und so habe ich mir das dann auch sehr intensiv angehört. Man lernt ja nie aus!
Da es offensichtlich auch zum Einsatz des treibenden Schenkels sehr unterschiedliche Auffassungen gibt, ist es vielleicht sinnvoll, erst einmal das Wort Treiben zu definieren. Die Definition ist zwar nicht neu, scheint aber im Zuge der allgemeinen Verwirrung und der endlosen vielen Auffassungen von heute irgendwo unterwegs untergegangen zu sein:
Treiben heißt weder quetschen, noch hacken und auch nicht stoßen. Ein treibender Schenkel liegt ruhig am Pferdeleib in der für die jeweilige Lektion und Übung vorgesehenen Position an und fordert das Pferd durch regelmäßigen feinen Druck / Impuls mit der Wade zum mehr Aktivität auf. Um allerdings einen treibenden Schenkel im Sinne der überlieferten Grundsätze der Ausbildung zu haben, muss man beim Reiten im Schwerpunkt, im Gleichgewicht und in der Bewegung des Pferdes sitzen können. Kann man das nicht, kann man auch nicht richtig treiben.
Man kann einen Schenkel nicht korrekt einsetzen, wenn man sich selbst verspannt oder gar am Zügel festhält. Dann schaukeln die Unterschenkel unruhig hin und her und geben dem Pferd sehr missverständliche Signale. Es wird mit der Zeit abstumpfen und der Reiter muss, wenn er dann mal wirklich treiben will, mehr Kraft aufwenden. Man kann auch dann nicht zum Treiben kommen oder anders formuliert richtig treiben, wenn man sich in der Hüfte verdreht, in der Hüfte einknickt, mit dem Becken nach hinten oder vorne schiebt, die Knie hochzieht, die Fußspitzen nach Außen verdreht, die Schultern hochzieht oder die Schenkel zu weit nach vorne oder zu weit nach hinten verlagert.
Der treibende Schenkel
Hier liegt der Unterschennkel am Pferd und kann es zu aktivem Abfußen veranlassen. Die Anlehnung ist jedoch nicht konstant. Das kann am an die Nase des Pferdes spritzenden Wasser liegen.
Der treibende Schenkel hat unter anderem die Aufgabe, das Hinterbein zu aktivieren, die Hinterhand heranzuschließen, die Hinterhand vor dem Ausweichen zu begrenzen, die Rippen zu biegen und die Vorwärtstendenz zu erhalten. Wer aber übernimmt alle diese Aufgaben, wenn der treibende Schenkel fehlt?
Unterschiedliche Auffassungen zum treibenden Schenkel
Es gibt Reitauffassungen, die bauen auf der Idee auf, dass man einen treibenden Schenkel nicht braucht. Wie hält man aber ein Fortbewegungsmittel mit Heckantrieb – was ein Pferd ja unzweifelhaft ist – am Laufen, wenn das Gaspedal fehlt. Vorantreiben kann man sein Gefährt dann jedenfalls nicht. Pferde sind nicht dumm! Es ist nachgewiesen, dass das Hinterbein mit der Zeit langsamer, weniger aktiv wird, wenn der treibende Schenkel nicht für regelmäßige Impulse sorgt. Nur drauf sitzen und die Beine hängen lassen funktioniert also nicht. Sicherlich wird das Pferd irgendwie auch laufen, wenn es nicht ein ganz gemütlicher Vertreter ist, der dann einfach stehen bleibt, aber Muskeln, Sehnen, Bänder und Gelenke korrekt zu belasten, statt sie zu überlasten, ist dann nicht mehr sichergestellt.
Pferde, die von sich aus fleißig sind, nehmen damit nicht gleichbedeutend von sich aus Last auf oder haben ein aktives Hinterbein. Sie haben nur mehr Vorwärtsdrang als andere. Wenn dann ein Reiter sagt: „Ich brauche nicht treiben, der läuft von ganz alleine“, dann ist das ein Zeichen dafür, dass das Pferd eben nur läuft … Wenn es dann im Galopp von sich aus vorwärts rennt, hat auch das nichts mit Aktivität aus der Hinterhand zu tun. Es mag eine vom Temperament des Pferdes ausgehende Gehfreudigkeit sein oder ein „davon-laufen“ vor Schmerzen oder Verspannungen. Die wiederum vielfach auch aus der mangelnden Aktivität der Hinterhand entstehen.
Muskeln können sich nur entwickeln, wenn sie arbeiten müssen. Arbeiten im Sinne der ausbildungstechnischen Arbeit können sie nur, wenn sie durch den Reiter animiert werden. Animiert zum Dehnen und zum Zusammenziehen. Diese Arbeit fordert dann immer ein klein wenig mehr, als das Pferd anbietet. Würden wir uns mit dem zufriedengeben, was uns das Pferd anbietet, würde es mit der Zeit immer weniger tun, denn es ist ja keiner da, der mehr fordert. Fordern heißt in dem Zusammenhang nicht, ein Pferd durch grobe Einwirkung zu zwingen. Es bedeutet nur, es zum Einsatz der notwendigen Muskeln zu richtigen Zeit und der richtigen Form zu veranlassen. Dazu braucht der Reiter unter anderem seine Schenkel. Wie sonst sollte es sonst gehen? Mit gutem Zureden oder Hüa-rufen sicherlich nicht!
Der treibende Schenkel und Kurzkehrt oder Pirouette
Wir haben das anhand der Kurzkehrt einmal ausprobiert! Ein falsch oder gar nicht eingesetzter Schenkel führt immer dazu, dass die Lektion vom Pferd nicht richtig ausgeführt werden kann. Nur wenn Gewichts-, Schenkel- und Zügelhilfen richtig zusammenwirken, dann kann das Pferd eine Kurzkehrt ausführen!
Bei richtiger Ausführung muss sich das Pferd in den Hinterhandgelenken beugen. Das innere Hinterbein soll, Gewicht aufnehmend, durch den treibenden inneren Schenkel des Reiters zum Abfußen veranlasst werden, um mit ganz leichter Vorwärtstendenz, am selben Ort wieder auf- und abzufußen. Beinahe gleichzeitig wird mit dem äußeren verwahrenden Schenkel leichter Druck ausgeübt und am äußeren Zügel eine halbe Parade gegeben, dabei innen gefühlvoll nachgegeben. So wird das äußere Hinterbein “herangeholt” und zwar so, dass das Pferd nicht ausfallen kann. Fast gleichzeitig kommt wieder an der inneren Seite das Vorwärts durch treiben und so fort… Während der ganzen Wendung muss der Reiter sein Pferd gut eingerahmt, immer an beiden Schenkeln haben, das Pferd sicher an den Hilfen stehen.
Falsch ist, wenn der Reiter sein Pferd mit der Hand zu viel nach innen biegen will (was man oft sieht), es zu viel abgestellt wird, wenn er den äußeren Schenkel zu weit zurücklegt und den Absatz hochzieht, wenn der innere Schenkel nicht am Pferd liegt, wenn der Reiter mit seinem Gewicht nach außen hängt oder die Schultern hochzieht. Auch wenn das Pferd mit den Hinterbeinen kreuzt, ist das immer ein Hinweis auf zu viel Treiben des äußeren Schenkels und zu wenig Treiben des inneren Schenkels. Das heißt, die Vorwärts-seitwärts Bewegung ist in der korrekten Form nicht mehr eingehalten.
Ebenso, wenn die Wendung fast nur mit dem inneren Zügel und dem äußeren Schenkel geritten wird, der Reiter zu viel nach innen herunter schaut, wodurch er automatisch mit den äußeren Hilfen nicht mehr genügend einwirken kann. Falsch ist es auch, wenn das Pferd selbst diese Wendung ausführt, also nicht auf die Hilfen des Reiters “wartet”. Dann nämlich ist es nur ein „Herumlaufen“.
Eine Demonstration: Auf dem Foto weicht das Pferd mit dem äußeren Hinterbein aus, da der begrenzende Schenkel fehlt. Das Pferd ist nicht korrekt gebogen. Da das Pferd gegen die linke Schulter drückt, versucht die Reiterin das durch Gewichtsverlagerung abzufangen, was nicht geht
Bei der wir Pirouette haben die gleichen Voraussetzungen wie bei der Kurzkehrt, nur, dass das Pferd sich im Galopp befindet. Der Vorgang ist derselbe.
Korrekt gesprungene Pirouette. Auf dem zweiten Foto hat die Reiterin den (rechter Schenkel) Absatz etwas hochgezogen. So kommt es bei Reiter und Pferd leicht zu ersten Verspannungen.
In der Ausbildung ist es wichtig, dass von Anfang an alles richtig aufeinander aufgebaut wird. Nimmt das Pferd in der Kurzkehrtwendung und später in der Schrittpirouette kein Gewicht auf, beugt es sich dort nicht in den Hinterhandgelenken, wird es das auch in der Galopp Pirouette nicht können. Da die Fehler schon bei den Grundlagen gemacht wurden, sieht man so viele Pferde, die sich zu viel drehen, nicht durchspringen oder sich in sich verkriechen. Meist fehlt neben richtigen dem Zusammenwirken der Hilfen auch der treibende innere Schenkel. Viele Pferde sind zu viel gestellt, so dass sie sich kaum im Gleichgewicht halten können. Auch reiten Reiter die Pirouette ausschließlich mit dem äußeren, fast auf die Kruppe gelegten Schenkel und dem inneren Zügel. Dabei hängen sie regelrecht nach innen herunter. Also genau dieselben Fehler, wie sie in der Kurzkehrtwendung gemacht werden.
Wirken Gewichts-, Schenkel- und Zügelhilfen nicht korrekt zusammen, wird sich das Pferd in der Pirouette herumwerfen müssen oder “steckenbleiben” und ausfallen. Die innere Hand ist hier heruntergedrückt und behindert das Pferd die Schulter zu heben, der innere Schenkel hochgezogen, kann nicht in korrekter Weise treibend einwirken. Das Pferd zu eng im Hals führt zu Verspannungen und bringt das Pferd aus dem Gleichgewicht, die Hinterbeine werden gestemmt, statt unter den Schwerpunkt zu springen. Das Pferd insgesamt verspannt. So soll es nicht sein!
„Bekanntlich bestehen die Reiterhilfen in erster Linie durch die Einwirkung von Gewicht, Schenkel und Hand. Liegt nun der Schenkel nicht immer am Pferd, ist die Anlehnung nicht konstant, sitzt der Reiter nicht immer ruhig, in die Bewegung eingehend und tief im Sattel, so verlieren diese Hilfen ihre Wirkung. Hilfen unterstützen und ergänzen sich nicht mehr harmonisch. Dies bezieht sich auf die gesamte Ausbildung des Pferdes und auf alle Lektionen. Wenn eine der drei Hilfen fehlt (und ist dies auch nur zeitweise der Fall), dann hat der Reiter sein Pferd nicht an den Hilfen…“ (Marianne Fankhauser-Gossweiler)
Wenn man die Aufgabe des Schenkels und des Sitzes nur anhand dieser kurz skizzierten Lektionen betrachtet, ist die Überlegung „Hand ohne Bein und Bein ohne Hand“ umsetzbar; zumindest nicht so, dass sich das Pferd dabei loslassen und kann und auch nicht so, dass das Pferd gesund bleiben kann.
Manchmal muss man sich wundern, dass diese Thesen trotzdem noch immer vertreten werden. Vielleicht mag es daran liegen, dass für Vertreter dieser Ideen die Zielgruppen schnell entsprechend groß werden und der Umsatz steigt, wenn man Reiten auf einmal als bequem, einfach und schnell erlernbar verkaufen kann.
Nur leider funktioniert das nicht!! Wie sagte Felix Bürkner doch so schön: „Ein Leben reicht nicht aus, um reiten zu lernen.“