…da liegt eines der grossen Probleme im Pferdesport – die Frage ist, wie bringt man das zusammen?
Heute morgen habe ich durch Zufall einen sehr detaillierten Artikel zu einem Thema gefunden, das mich seit Jahren interessiert, ein Stück weit fasziniert und dem ich mich entsprechend intensiv widme…
Während ich den Artikel durchlas kam mir immer öfter der Gedanke: “Hmmm, was ist das denn für eine Ableitung?” Und eine meiner Überlegungen war: “Welche Reitweise vertritt der Autor eigentlich?”
Der Autor vertrat eine ganz andere Reitauffassung als ich und somit passten seine Ableitungen – die für ihn sicherlich richtig waren – für mich nicht mehr zum Pferd von heute, da ich eine ganz andere Auffassung vertrete. Ich komme nämlich aus dem Bereich der Sportpferde, habe zwar schon viele Iberer, Araber, Haflinger, Freiberger und Kaltblüter teils auch über längere geritten, aber meine Begeisterung gehört den sensiblen schwungvollen Dressurpferden von heute.
Fachlich war der Artikel fundiert und wissenschaftlich belegbar. Eine gute Sache also. Die Ableitung allerdings war gefärbt von der Ausbildungsmethode und den Zielen der Ausbildung, die der Autor vertrat und damit kommt man schon in die Bredouille.
Wo geht die Reise hin?
Viele der sogenannten klassichen Ausbildungsmethoden – und dabei weiss ich nicht mal so genau, was heute alles KLASSISCH ist – sind beim modernen Pferd aufgrund der Veränderung in Gebäude, Bewegungsablauf und auch Charakter nicht mehr umsetzbar und halten das Pferd nicht dauerhaft gesund. Es ist natürlich auch noch die Frage zu stellen, was klassisch ist. Diese “Gütesiegel” verleiht sich heute ja gerne jeder:
Klassisch
– Barock
– nach der Spanischen Hofreitschule
– nach Baucher, Filiz und Co.
– nach der Legerete
– nach der Akademische Reitkunst
– oder klassisch nach den überlieferten Grundsätzen der Ausbildung, die auf der HdV.12 basieren – und zwar auf der überarbeiteten Fassung von 1937 – aber dadurch nicht erst 1937 entstanden ist. Schaut man da einmal genauer rein, dann zeigt sich, dass diese Überlegungen auch schon viel viel früher kommuniziert wurden und man sich nicht nur bei Bürkner, Bürger und Co. wiederfindet.
Allein in meiner oberflächlichen Aufzählung haben wir schon sechs Reitauffassungen, die nicht nur unterschiedlich interpretiert werden, sondern auch unterschiedliche Wege zu ihrem jeweiligen Ziel einschlagen.
Nehmen wir für die Anwendung der jeweiligen Reitauffassung einmal das moderne Sportpferd: gross, langbeinig, sehr elastisch, in unserem Fall hypermobil, auf aufwendige und schwungvolle Bewegung gezüchtet. Das Pferd kann ich nur gesunderhaltend einsetzen, wenn ich mein Reiten auf die körperlichen Gegebenheiten abstimme. Diese Pferde müssen zum einen fleissig vorwärts gehen und ich muss dem grossen Körper durch die Entwicklung der Schubkraft (im ersten Schritt) die Möglichkeit geben, die notwendigen Muskeln so aufzubauen, dass sie den Körper zum einen stabilisieren und zum anderen die Kraft verschaffen sich selbst zu tragen.
Sich Tragen zu können hat übrigens NICHTS mit Versammlung zu tun, auch wenn diese beiden Begriffe immer zusammen verwendet werden. Ein Pferd trägt sich immer dann, wenn es sich bei allen Lektionen und Übungen im Gleichgewicht bewegen kann, ohne sich falsch belasten zu müssen. Dann geht es auch in Selbsthaltung. Sich Tragen zu können und Selbsthaltung sind genauso voneinander abhängig wie Durchlässigkeit und Losgelassenheit. Kann sich das Pferd nicht loslassen, kann es Hilfen nicht durchlassen. Somit ist es nicht durchlässig. Ist es nicht durchlässig, lässt es sich nicht los.
Aber zurück zu unserem nicht ganz so fiktiven Pferdekörper. Glaubt irgend jemand allen Ernstes, dass man das moderne Pferde mit einer der erste genannten fünf Auffassungen langfristig gesund erhalten kann?
Betrachtet man es sachlogisch unter dem Gesichtspunkt der Muskeltätigkeit, dann ergeben sich viele Fragen nicht und viele Antworten ergeben sich von selbst:
Wann und wie wächst ein Muskel?
Wann und bei was wird er am besten durchblutet und somit dann schlussendlich ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, so dass er richtig wachsen kann?
Richtig! Nicht in der ausschliesslichen Versammlung und dem “gesetzten” Vorwärtsbewegen und Aufrichten – sondern durch Dehnen, Strecken und Vorwärtsreiten – also indem man erst einmal für eine richtig gute Durchblutung sorgt. Diese gibt es nachweislich in der Versammlung nicht in ausreichender Form!
Noch ein Hinweis am Rande: Ein Pferd vorwärts zu reiten hat nichts mit eilig zu tun oder mit Schiebetrab, wie es manch einer Nichtwissend beschreibt, sondern fleissig vorwärts heisst nichts anderes, als den Schub aus der Hinterhand fördernd zu fordern und somit ein aktives und kraftvolles Abfussen zu erreichen.
Irgendwann kann man sein Pferd immer mal wieder aufrichten und versammeln. Ich bin die letzte, die da dagegen spricht, aber dazu muss das Pferd erst einmal die Kraft und Elastizität haben. Diese entsteht aber nicht durch Aufrichtung und Versammlung, sondern wenn das Pferd sich dehnen kann, den Rücken heben kann und dadurch aktiv abfussend das Hinterbein weit nach vorne in Richtung unter den Schwerpunkt vorfussen kann. Allein dadurch wird alles richtig beweglich und es entstehen diese entzückende Hosen… und die wollen wir ja alle gerne bei unseren Pferden haben, da sie ja unter anderem für ein kraftvolle Kehrseite und gutes Reiten stehen….
Diese wunderschöne Hinterteil gehört übrigens Armani. Fotografiert habe ich es im Mai 2023. Zu diesem Zeitpunkt habe ich ihn noch nicht einen Tritt in seinem Reitpferdeleben versammelt. Die höchste Aufrichtung die er bis heute erfahren hat, ist das was man früher Gebrauchshaltung nannte. Ich reite ihn wie eine junge Remote. Die Nase nach Möglichkeit an der Senkrechten, Höhe Buggelenk oder ein klein wenig höher und so fleissig vorwräts, dass er bei ausreichend langem Zügel die Anlehnung suchen lernt und aus der Hinterhand schieben muss. In den Grundgangarten fleissig vorwärts, aber nicht eilig, erste kurze Reprisen Tritt und Sprünge verlängern. Lektionen reduzieren sich auf Grundlagen mit dem Ziel einer konstanten Anlehnung, Verbesserung von Stellung und Biegung durch grosse gebogene Linien, häufige Handwechsel etc.. je perfekter das Pferd das nämlich beherrscht, um so einfacher wird alles weitere…. Das war es im übrigen auch schon.
Das ist dann auch der Weg, mit dem man zur Losgelassenheit kommt, Pferde mit der Zeit immer durchlässiger werden. Dadurch lernen sie auf kleinste Hilfen reagieren zu können, einfach weil alles elastisch und geschmeidig ist. ich benötige für die später kommende Versammlung dadurch weder Druck noch Zwang. Noch bin ich mit einem durchhängenden Zügel konfrontiert. Dieser hat nämlich nichts mit Fein und nett zu tun. Er ist im Gegenteil genauso falsch, da er für einen festen Rücken und ein wenig aktives Abfussen steht. Auch die Tragkraft entsteht aus der Schubkraft…
Ich bin überzeugt, dass – zumindest im Bereich der Freizeitreiter – viele ihre Pferde gesund erhalten wollen und alles tun, damit es so bleibt, aber so lange Biomechanik, richtiges Reiten und Ausbilden, Bemuskelung und Reitlehre so interpretiert werden, wie sie heute interpretiert werden – und zwar so, dass sie zur eigenen Überzeugung passen auch wenn das dann grundlegend falsch ist – bleiben uns nicht nur die viele falsch bemuskelten Pferde erhalten, die dann alle bequemerweise ein Gebäudeproblem haben, sondern auch die vielen Gurus, die ihre Methoden mit pseudowissenschaftlichen Erklärungen und Superlativen erfolgreich verkaufen.
Damit tun wir nicht nur dem Pferdesport keinen Gefallen, da wir mit unseren immer neuen – teils gerechtfertigten – Feindbildern in der breiten Öffentlichkeit ein bedenkliches Bild erzeugen, sondern noch viel weniger unseren Pferden.
Nicht umsonst sind so viele Pferde schon in jungen Jahren kaputt geritten…..
Danke, dass Du mal wieder deutlich machst, dass es Zeit und Geduld braucht und man diese unseren Pferden einfach geben muss…man muss sich dies immer wieder vor Augen führen, wenn man mal wieder etwas zu ungeduldig wird.
danke
So schade, dass Sie nicht bei uns in der Nähe sind. Es gibt wirklich ganz wenige Trainer*innen, die logische Zusammenhänge so kurz und präzise benennen können, damit der Reiter es auch verstehen kann!
Dankeschön 🙏🏼
ich danke Ihnen für das Kompliment. Es freut mich sehr !!!