Tolles Gesicht, kleiner Kopf, guter Halsansatz, schöne Oberlinie, gut gewinkelte Hinterhand, schräge Schulter, hochbeinig, elegant. Schwungvolle Grundgangarten, rittig und leistungsbereit ohne Ende. So sieht das heutige Zuchtergebnisse in der Warmblutzucht vielerorts aus. Was will man als ambitionierte Dressurreiterin mehr?
Nicht selten kommt nach einer solchen Aufzählung allerdings ein ABER!
Aber: hochsensibel, kann Ausbildungsfehler mental und körperlich nicht verarbeiten, schreckhaft, manchmal schwierig im Umgang (oder wie heisst es in Verkaufsanzeigen: kein Anfängerpferd…), hypermobil mit nicht selten in jungen Jahren instabilen Knien, nicht im Gleichgewicht und es braucht viel viel Zeit, um auch nur im Ansatz gesund zu bleiben.
Diese Zeit hat das heutige Zuchtergebnis Pferd aber nicht.
L-Dressur schon mit vier Jahren, M-Dressur mit fünf oder sechs Jahren und S-Dressur auf Trense mit sieben Jahren?!
Ich erinnere mich noch an den Ausbildungsplan, den mir Herr Stecken vor Jahren einmal gegeben hat. Darin steht, dass die junge Remonte für eine korrekte Grundausbildung – sprich bis zur Klasse L – mindestens zwei Jahre braucht. Diese Zeit benötigt sie, um alle Anforderungen mental zu verarbeiten und um körperlich so stabil, muskulär so gefestigt zu sein, dass es nicht durch falsche Belastung, zu viel und zu hohe Anforderungen zu einer frühzeitigen Schädigung des jungen Pferdes kommt. Soweit die alten Überlegungen.
Viele werden jetzt sagen: Herr Stecken ist tot und das was er da anno Tuck von sich gegeben hat, ist erstens überholt und zweitens können das die meisten Pferde heute locker wegstecken und verarbeiten!
Gibt es diese wissenschaftlichen Wunderwerke wirklich? Pferde, die sich vom ersten Tag ihres Reitpferdelebens schon gleich eine Stunde lang konzentrieren können? Pferde, die trotz ihres instabilen und mit der eigenen Bewegungsqualität durch Wachstum vollkommen ungeeigneten Körper nicht überfordert sind? Sicherlich gibt es diese Pferde nicht. Sie können nur länger still leiden. Diese Aussagen sind Augenwischerei und eine Versündigung am jungen Pferd.
Das Ergebnis der heutigen Warmblutzucht ist schon per se nichts für den normalen Reiter, da er kaum noch eine Möglichkeit hat, ein solches Pferd mit einer kompetenten Unterstützung auszubilden, so dass es dann auch gesund bleibt. Warum? Weil es diese kompetente Unterstützung kaum noch gibt. Alles muss schnell gehen und schnelle Erfolge bringen. Fundiertes Wissen Fehlanzeige….
Als ich 2011 mein Buch “Über den Rücken” bei Cadmus als Vorschlag eingereicht hatte, hatte ich darin meine eigenen Erfahrungen mit meinem Rubinstein dokumentiert, der schon mit fünf Jahren Kissings Spines hatte. Durch falsche Ausbildung, an der ich durch Nicht-Wissen und trotz namhafter Ausbilder nicht ganz unbeteiligt war.
Eigentlich waren diese Aufzeichnungen für mich, denn ich wollte festhalten, ob und wie es funktioniert, ein Pferd mit diesem Befund wieder fit zu machen und dafür zu sorgen, dass es bis in ein hohes Alter beweglich und schmerzfrei bleibt.
Ich hatte im Leben nicht damit gerechnet, dass es irgendeinen interessiert, was ich da so zusammen geschrieben hatte, geschweige denn, dass dieses Buch einmal zu einem Beststeller werden würde.
Noch heute kommen täglich Mails von verzweifelten Pferdebesitzern, deren Pferde schon in jungen Jahren Befunde haben, bei denen ich nicht selten denke: Wow, das muss man erst einmal schaffen… Und in fast allen Fällen liegt es an massiven Ausbildungsfehlern. Ausbilder, die den jungen Pferden und den Schülern nicht die Zeit lassen, sich so zu entwickeln, wie es notwendig wäre, dass sie ihr Pferd auch nur im Ansatz gesund erhalten können.
Das ist ein solches Buch einen so hohen Bedarf hat, sollte uns zum Nachdenken veranlassen. Das heisst nämlich, dass irgend etwas ziemlich falsch läuft…
Manch einer wird jetzt sagen: Ja, das liegt an der Warmblutzucht, die hält nicht mehr und an der FN-Reiterei, die taugt nichts…..
Falsch!
Bei den vielen kaputt gerittenen Pferden von heute findet man genauso viele Iberer, Tinker, Friesen und was es sonst noch so auf dem Markt gibt. Viele dieser Pferde werden nach den interessantesten Methoden ausgebildet, die keinerlei wissenschaftlich fundierte Basis aufweisen können und auch bei diesen Methoden lässt man den Pferden keine Zeit mehr. Ich frage mich oft, wie es sein kann, dass ein Pferd, was noch nicht einmal korrekt angaloppieren kann, schon piaffieren können soll? Vollendete Versammlung ohne Grundlagen? Ich wüsste nicht, wie das funktionieren soll.
Mein Fellini ist heute 14 Jahre alt – eine Lebensversicherung auf vier Beinen: Die Mutter noch vom alten Schlag. Er selbst als Fidermark, kalibrig stabile Knochen, nicht zu lang Rücken, aber trotzdem eine gut gewinkelte Hinterhand, schöne Galoppade, guter Schritt, erst einmal ein normaler Trab. Das Anreiten war einfach: Draufsetzen, losreiten und nach vier Wochen ab ins Gelände. Erst einmal 1,5 Jahre im frischen Tempo vorwärts, Dressurlektionen reduzierten sich auf korrekte Übergänge, grosse gebogenen Linien, häufige Handwechsel, Schlangenlinien und grosse Volten auf einem Viereck mit den Massen von 100x100m. Versammlung kam nicht vor, sondern nur das Stabilisieren des Körpers. Alles war einfach. Das Pferd nach dem Einreiten mit erst 4,5 Jahren schnell im Gleichgewicht und mit elf Jahren beherrschte er alle S-Lektionen, der Trab durch die viele Zeit irgendwann über die sich entwickelnde Kraft und Elastizität richtig ausdrucksvoll – alles ging spielerisch mit einem ganz normalen Pferd.
Bamboo ist das, was man heute sehen will: Elastisch, tolle Bewegungen, hoch sensibel. Durch die vielen Ausbildungsfehler, falsch gerittenen Lektionen und den massiven Leistungsdruck durch den Vorbesitzer musste alles zurück auf Null. Grundlagen, an denen jetzt schon zwei Jahre gearbeitet und gefeilt wird. Ehrlich betrachtet ist er noch weit weg von einem reellen L-Niveau, wenn man es Spielerisch und ohne Druck erreiten will. Auf dem Platz ist meist alles gut, aber wehe das Pferd muss im Gelände bergauf und bergab. Da überlegt man bei jedem Tritt, ob man seine Lebens- und Unfallversicherung für den Monat auch bezahlt hat. Das Pferd nach zwei Jahren umarbeiten noch immer nicht im Gleichgewicht. Von Selbsthaltung keine Rede. Er wird – und damit ist er keine Ausnahme – noch mindestens ein Jahr brauchen, bis er über die Muskulatur und das Training so gefestigt und elastisch ist, dass er weiterführende Lektionen gehen kann, ohne dass man den Zügel zur Stütze umfunktionieren muss und alles nur mit Druck geht… und Druck kann er heute überhaupt nicht mehr vertragen. Dann blockiert er innerlich und das war es dann. Auch das ein Ergebnis der heutigen Zucht oder nicht doch viel eher das Ergebnis einer falschen und groben Ausbildung???
Mit diesen ganzen Überlungen muss man sich natürlich fragen, ob die Zucht von heute Pferde produziert, die am Markt vorbeigehen, da der normale Reiter mit der Qualität und der Sensibilität überfordert ist oder ob die Verbände nicht in der Lage sind, so kompetenten Menschen zu schaffen, die befähigt sind, diese hochwertigen Pferde durch eine entsprechend fundierte Ausbildung von Reiter und Pferd – die sicherlich ein bis zwei Jahre länger braucht – auch nur im Ansatz gesund zu erhalten.
Für mich gehört die S-Dressur mit sieben Jahren genauso wenig in den Mund eines Ausbilders oder Pferdebesitzers, wie die Paffe bei einem Freizeitpferd, was noch nicht einmal korrekt angaloppieren kann. Mit diesem ganzen Irrsinn schaffen wir täglich neue Plattformen für die, die vermitteln, dass mal alles so eben und auf die Schnelle geht….
Solange aber die Verantwortlichen in den Verbänden immer schneller immer mehr und nur noch abnorme Qualität fordern, macht sich die Warmblutzucht den eigenen Markt kaputt und öffnet Türen für immer mehr Pferde, die eigentlich vor die Kutsche gehören, die aber der normale Reiter wenigstens noch im Ansatz bedienen kann.
Ist es das, was wir wollen? Warum schaffen wir mit der alten Zucht nicht wieder Pferde, die einen unkomplizierten Charakter haben und die einen stabilen Körper mitbringen. Die strampeln dann vielleicht nicht so, aber sie bleiben gesund – körperlich und seelisch.