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6-jährige Pferde und Pirouetten haben an sich immer zusammengepasst….

“Wissen Sie,” so die stolze Mutter eines Teenagers in einem ländlichen Reitverein, “unsere Tochter hat mit unserem Sechsjährigen im Unterricht jetzt mit den ersten Pirouetten angefangen und die Trabverstärkungen müssen Sie erst einmal sehen: Einfach ein Pferd für das ganze große Viereck. Die beiden sind ja sooo talentiert. Ich denke, spätestens im nächsten Jahr dürfte sie im Kader sein und dann visieren wir den Preis der Besten an!”
Gedanklich war Mutter vermutlich schon auf der Olympiade und die absolut hochgradig talentierte Tochter – vom Sprachgebrauch jedoch mehr als schlicht – stürzte doch etwas sehr unelastisch zum gefühlten 80-igsten Male im Renntrab durch die Diagonale. Sie hatte den Oberkörper dynamisch nach hinten verlagert, um dem Gegenwind keine Widerstand zu bieten, mit dem Oberschenkeln an den dicken Pauschen festgeklemmt. Das Pferd mit gestresstem Blick verspannt die Vorderbeine hoch reißend, das Hinterbein schleppend durch den Sand gezogen.

Horst Niemack würde jetzt sagen: “Vorne wird getrommelt und hinten kommen keine Soldaten!”… Der Trainer jedoch sprach von einer extrem guten Schulterfreiheit…
So unterschiedlich werden Dinge interpretiert.

Heute ist es ja leider so, dass Menschen sowie sie das Gefühl haben, sie hätten ein dankbares Opfer gefunden, sofort all’ ihr Wissen zum Besten geben. Da ich offensichtlich immer den Eindruck hinterlasse, dass sie damit bei mir richtig sind und ich – so würde es Herr Stecken jetzt schmunzelnd formulieren – nur am Rande informiert bin, erfahre ich meist mehr als ich wissen will.

Nachdem mir in aller Tiefe erklärt wurde, wie wichtig Pirouettenversuche bei einem 6-jährigen Pferd sind und die Tochter zur Demonstration auch das verkrampfte 4-Takt-Gehüpfe mit seitlich ausweichenden Hinterbeinen, in alle Richtungen wankend, weggedrücktem Rücken, zu eng im Hals, das Pferd mit ihrem grob fehlerhaften Sitz komplett aus dem Gleichgewicht bringend, demonstriert hatte, bat sie mich vermutlich aus Höflichkeit um meine vollkommen unmaßgebliche Meinung.

Diplomatie ist nicht meine Stärke, da ich aber das mehr als amüsante Gespräch nicht abbrechen mochte, habe ich mich bemüht strategisch überlegt zu antworten: “Das ist ja schon recht gut, aber man könnte es noch ein klein bisschen besser machen”. Ich war sehr stolz auf meine charmante Formulierung.
Vermutlich war das dann doch nicht diplomatisch genug, denn die Dame schaute mit einem fragenden ‘Wie-kommen-Sie-denn-darauf-Blick’ mehr als pikiert in meine Richtung, ließ meine Ausführungen jedoch zu:

“Um die Pirouette noch etwas zu verbessern, würde ich mit dem Pferd üben Ecken in Schritt, Trab und später im Galopp korrekt zu durchreiten, die Biegung ersten Grades und damit das Reiten der Volten zu verbessern. Kleiner als 10 meter sollten die Volten nicht sein, denn das Pferd ist noch zu steif und würde nur mit der Hinterhand weg schleudern. In den Volten weicht das Pferd Ihrer Tochter immer mit dem Hinterbein zur Seite aus. Das liegt daran, dass Ihre Tochter versäumt, sich in ihrem Sitz der geritten Wendung anzupassen, sie ist mehr als fest im Becken und in der Schulterpartie, die Hände sind zu hoch getragen. Sie hat eine hart rückwärts wirkende innere Hand. Die äußere Schulter ist zuweit nach hinten geführt, wodurch das Pferd versucht auszuweichen. Sie müsste die innere Hüfte vornehmen und die Schulter zurück. Durch den verdrehten Oberkörper kommt das Pferd aus dem Gleichgewicht und kann keine Kreislinie beschreiten. Die halben Paraden erfolgen nicht und Ihre Tochter kann auch das Nachgeben mit der inneren Hand nicht umsetzen. Das Annehmen hat sie aber nicht vergessen.
Dadurch verwirft sich Ihr Pferd im Genick, macht sich im Rücken fest, schlägt mit dem Schweif, kommt mit der Nase weit hinter die Senkrechte, das Maul ist aufgesperrt und es zeigt nicht unerhebliche Taktfehler in allen Wendungen und leider auch auf der Geraden. Darüber hinaus ist Ihr Pferd noch überhaupt nicht geradegerichtet und hat eine deutliche schlechtere Hand. Das heißt, dass es in der Rippenpartie nicht geschmeidig ist.
Diese Fehler zeigen sich dann auch in den Trabverstärkungen. Da kommt das Pferd mit weggedrücktem Rücken und heraus gestelltem Hinterbein, verspannt, mit nachhaltig unruhigem Schweif, aufgesperrtem Maul und festgehaltenem Rücken laufend auf die Vorhand.
Man sollte jetzt zu den Grundlagen zurückgehen und dann langsam die Geschmeidigkeit der Rippenpartie und der Hinterhandgelenke verbessern. Das durch korrektes Rückwärtsrichten und daraus gerade antraben, durch richtig gerittene Kurzkehrt und immer wieder kehrend richtig durchrittene Ecken und runde Volten, dann wird das Pferd in 4-5 Jahren sicherlich über die notwendige Kraft und Elastizität verfügen, um eine gute Pirouetten zu springen. Es wird dann auch sicherlich in den Trabverstärkungen aus der Hinterhand schieben, statt aus der Vorhand zu ziehen.”

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund musste sich die Dame etwas zu trinken holen. Ich habe Mutter und Tochter nicht mehr gesehen und das, obwohl ich so diplomatisch war …..

 

 

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