Temperament, Charakter, Gebäude – Möglichkeiten des Pferdes und unsere Wünsche…
Die heutige Zucht bringt Pferde mit einer enormen Qualität, die allerdings oftmals nicht mehr so einfach zu bedienen sind. Die Bewegungen sind nicht selten so außerordentlich, dass sie der Reiter kaum mehr sitzen kann. Das Springvermögen ist so enorm, dass man geneigt ist, gerne mal eine Stange mehr drauf zu legen., da schon junge Pferde das alles spielerisch schaffen. Da die Pferde von heute auch noch einen tollen Charakter haben und mehr als gutmütig sind, machen sie vieles mit, was sie eigentlich nicht leisten können.
Kalibriges Pferd, vom Charakter eher gutmütig, seit 14 Monate unter dem Sattel. Die Muskulatur ist noch nicht sehr stark ausgeprägt. Jedoch verleitet das massige Exterieur dazu, schnell zu viel zu verlangen.
Im Rücken sehr langes Pferd mit gerade Hinterbein. Bei einem solchen Pferd das Hinterbein aktiv zu halten und es heranzuschließen bedarf einiges an reiterlichem Können.
Moderner Typ eines 4-jähriger Wallachs, hoch sensibel und schnell nervig, gerade acht Monate unter dem Sattel. Die Muskulatur ist noch wenig ausgeprägt, obwohl das Pferd schon aussieht, als wäre es weiter geritten. Die moderne Zucht täuscht! Hinzu kommt, dass dieses Pferd sehr kurz ist und für einen großen schweren Reiter nicht geeignet, da man allein schon keinen passenden Sattel finden könnte….
Wenn man alleine diese drei sehr unterschiedlichen Pferde sieht, wird einem bewusst, dass man Besonderheiten und Eigenschaften des jeweiligen Pferdes beim Reiten und Ausbilden berücksichtigen muss. Hinzu kommt der gute Charakter, der dazu verleitet, schnell zu viel zu verlangen. Wenn es dann nicht klappt, ist man leicht ungerecht. Da die wenigsten Pferde sofort widersetzlich werden, glaubt manch ein Reiter, den Pferden mache die eine kleine Ungerechtigkeit nichts aus. Das Pferd wehrt sich ja in den wenigsten Fällen und wenn es dann den Dienst quittiert, ist meist so viel in die falsche Richtung gegangen, dass man sich an die ersten Signale schon gar nicht mehr erinnern kann….
Heute ist es nicht mehr normal, ein unrittiges, hektisches und übersensibles, teilweise aggressives Pferd zu haben, das einem Fehler nicht verzeiht und diese dann sofort entsprechend mit Widersetzlichkeiten quittiert.
Studiert man die alte Literatur, fällt einem auf, dass es Pferde mit schwierigem Charakter früher sehr viel häufiger gab als heute. Charakter- und Temperamentsfehler galten damals zu den größten Probleme in der Ausbildung eines Pferdes. Sie machten schon einfache Dinge nicht selten schwierig. Die Zucht hat auf die Erkenntnisse der Vergangenheit reagiert und entsprechend gehandelt. Schwierige Charaktere wurden aussortiert. Um Reiter jedoch dazu zu veranlassen, wieder sorgfältiger zu reiten und auszubilden, wären solche Pferde sicherlich sehr vorteilhaft. Sie würden uns jeden Tag unsere Grenzen aufzeigen. Wenn man ein solches Pferd besitzt, ist man zwangsläufig in einem Prozess permanenter Selbst-Reflexion, denn was gestern funktioniert hat, muss bei einem solchen Pferd heute nicht mehr unbedingt richtig sein und morgen kann es dann vielleicht überhaupt nicht mehr zum Ziel führen!
Das Gebäude eines Pferdes ist sehr wichtig und sollte bei der Ausbildung berücksichtigt werden. Kurze Pferde neigen beispielsweise eher zu knöchernen Problemen und Erkrankungen. In der Rückenpartie längere Pferde eher zu Erkrankungen im Weichteilbereich. Man sollte seine Anforderungen also auch an die körperlichen Möglichkeiten des Pferdes anpassen.
Der gewaltige Hals des schönen Hengstes täuscht. Über viele Jahre falsch geritten, ist das Pferd fehlerhaft und zu wenig bemuskelt. Absolute Aufrichtung, das Gebiss nicht angenommen, der Rücken nicht hergegeben.
Einen fehlerhafte Muskelentwicklung beispielsweise, die ja immer ein Spiegel der dann ebenfalls fehlerhaften Ausbildung ist, fällt den meisten nicht sofort auf und so lange die Pferde noch laufen, wird das alles schon irgendwie stimmen. So wird oft frühzeitig an spektakulären Verstärkungen und höherer Versammlung gearbeitet, obwohl das Pferd dazu noch überhaupt nicht in der Lage ist. Was bei all der Leistungsbereitschaft der Pferde schnell vergessen wird: Die Geschwindigkeit des Muskelwachstums und die körperliche Belastbarkeit hat die Zucht in den letzten 30 Jahren nicht geändert. Das wird sie auch in Zukunft nicht schaffen. Das sollte man immer im Hinterkopf haben.
Für uns Reiter heißt das, dass wir sorgfältig, mit Ruhe und vor allem viel Zeit ausbilden müssen, wollen wir auch langfristig einen Partner Pferd, der körperlich und mental gesund bleiben kann. Wenn jedoch der Turniererfolg in jungen Jahren über den Preis entscheidet, dann müssen schon junge Remonten oftmals mehr leisten, als sie körperlich und mental verkraften können.
Gebäude und Temperament zu berücksichtigen sowie die Fähigkeit zu besitzen, ein Pferd dem Charakter entsprechend korrekt zu behandeln und reiten sind mit Voraussetzungen, um es gesund und leistungsbereit zu erhalten. Korrekte Ausbildung bedeutet immer: Die richtigen Übungen und Lektionen zu rechten Zeit, in der passenden Dosierung und mit der notwendigen Ruhe. Eben bedacht vorgehen. Manchmal ist weniger mehr. Wenn es an manchen Tagen nicht so funktioniert, wie wir es gerne hätten, kann es sinnlos sein, eine Lektion an die andere zu reihen. Dann können ein entspanntes Bummeln durchs Gelände oder nur ein korrektes Zügel aus der Hand kauen lassen der bessere Weg sein.
Charakter, Gebäude und Temperament muss man bei der Ausbildung immer berücksichtigen. Wenn man das verinnerlicht, dann entstehen viele Probleme in der Ausbildung erst gar nicht!