Heute Nacht ist Paul Stecken verstorben. Er war ein wunderbarer Mensch und ein väterlicher Freund!
… Als ich Herrn Stecken vor fast zehn Jahren kennen lernte, war ich begeistert, beeindruckt und fasziniert zugleich von diesem Mann der irgendwie alles zu wissen schien. So viel, wie ich es wohl nicht mehr erlernen und erarbeiten kann.
Es war eine große Sympathie vom ersten Telefonat an und daraus wurde in den vielen Jahren eine große Verbundenheit. Ich weiß nicht mehr, wie viele Telefonate wir geführt haben, wie oft wir zusammen gedeckten Apfelkuchen mit Sahne oder auch Sachertorte gegessen haben, wie viele Fachgespräche wir geführt haben. Manchmal haben wir 4-5x in der Woche telefoniert und wenn ich mich dann einmal für einige Tage nicht gemeldet habe, dann hat er Sabine Volkmer von seinem wie er es nannte “Schreibbüro” veranlasst, mir eine Nachricht zu schicken, dass ich mich bei ihm melden sollte. Wenn ich dann anrief, brauchte ich meinen Namen gar nicht nennen und er fragte dann unwahrscheinlich herzlich: Und, wie geht es der Frau Schmatelka?
Wann immer er einen interessanten Artikel, ein gutes Buch oder ein Interview gelesen oder gehört hatte, sagte er: Das brauchen Sie noch für Ihren Wissensstand. Sie kennen sich doch mit dem Kasten so gut aus, können Sie sich das besorgen. Dann habe ich das während des Telefonates im Internet rausgesucht und da war immer seine Aussage: Donnerwetter, was man damit alle machen kann. Meinen Sie, ich sollte so etwas doch noch haben?
Dann irgendwann haben wir zusammengesessen und viele Stunden mein Buch: “Die Losgelassenheit des Pferdes” besprochen, überarbeitet und Bildunterschriften perfektioniert. Die Bildunterschriften waren immer sehr wichtig. Sie mussten präzise, eindeutig und kurz beschreibend formuliert sein.
An diesem Tag waren wir dann auch in seinem Büro im Keller seines Hauses. Wir saßen in seinem Wohnzimmer und dann stand er auf einmal auf und meinte: Ich habe in meinem Büro noch ein gutes Foto. Das muss da noch rein. Kommen Sie mit! Dann sauste er die Wendeltreppe zwei Stufen auf einmal nehmend in den Keller (und ich dachte noch: Wie kann der mit seinen 96 da die Treppe so runter sausen und auf meinen Einwurf: Sind Sie eigentlich wahnsinnig?, kam die lachende Antwort: Man muss doch fit bleiben). Dann begann nach dem Foto zu suchen, auf einem Schreibtisch, der über und über voll war mit Fotos, die er in 60 Jahren wohl gesammelt hatte und ich dachte noch: Wie will man in diesem Chaos etwas finden… und schwups, zog er ein Foto irgendwo aus der Tiefe hervor und meinte: “Das ist es. Das ist ein perfektes Foto zum Zügel aus der Hand kauen lassen. Das ist Tom de Ridder an der Schule mit Pferd X im Jahre 19xx. Ja ja, die Pferde gehen so gerne richtig…. ”
Ich hatte den Namen des Pferdes auf dem vergilbten Foto schnell wieder vergessen. Er aber wusste sie alle noch. Er hatte noch im Kopf, wann, wer bei ihm zum Lehrgang war und welches Pferd die jeweilige Person dabei geritten hatte.
Wie oft bat er mich, ihm doch Fotos vom Bundeschampionat, Preis der besten, Horses and Dreams und alle die anderen großen Veranstaltungen für ihn zu machen, da er das für seine Unterlagen würde brauchen können, um darüber immer aktuell im Bilde zu sein. Von vielen Ritten internationaler Reiter habe ich Laufe der Jahre Videos zusammengestellt und wir haben diese durchgesprochen. “Sie müssen Ihr Auge bis zur Perfektion schulen, damit sie immer alles im Blick haben.” Das waren seine Worte. Damit hat er mich angespornt zu üben und meinen Blick zu perfektionieren.
Vor wenigen Wochen noch haben wir wieder einmal über Video gesprochen und da meinte er scherzhaft: “heute entgeht Ihnen nichts mehr, sie haben sich ganz viel erarbeitet und verstanden und sie denken schnell und bis zum Schluss. Damit kann nicht jeder (Mann) gut umgehen”. Was haben ich über seine Sprüche gelacht, die immer so trocken und meist Breitseiten waren….
Ich erinnere mich an ein Buch einer bekannten Persönlichkeit, die sich über Hunderte von Seiten über ein Thema ausließ, dass man hätte in seinen Augen – und da lag er wie immer richtig – auch kurz zusammenfassen können. Er meinte dazu dann nur: “Das Schreiben liegt ihm nicht. Er sollte es besser lassen!” und dann kam noch der kleine Seitenhieb: “Das Buch ist SEEEHR ausführlich. Man hätte es auf die wesentlichen Dingen reduzieren können. Aber die Zeichnungen, die sind gut” und dann zu mir gewandt: “Sie müssen auch immer etwas Postives finden, wenn Sie etwas anmerken. Das nennt man Diplomatie. Es kann gut sein, wenn man das kann.” und wieder musste ich so lachen, denn meine diplomatischen Fähigkeiten sind wirklich nicht ganz so gut entwickelt.
Vorhin habe ich mit Sabine Volkmer telefoniert, die über 30 Jahre für ihn gearbeitet hat. Wir haben über die amüsantesten Momente mit ihm gesprochen. Eines fiel uns beiden dann noch ein und wir haben herzhaft lachen müssen und ich dachte, das würde ihm jetzt gefallen:
Vor ca. zwei Jahren im Winter meinte er bei einem Telefonat, dass ihm das Autofahren momentan doch etwas schwerfallen würde. Ich fragte, ob er darüber nachdenken würde, den Führerschein jetzt mit 98 abzugeben? Seine Antwort war so herrlich: Die Fahrertür wäre seit einigen Wochen defekt und er musste über die Beifahrerseite ins Auto klettern und das sei sehr mühsam, da er so schlecht über den Schaltknüppel drüber käme. Er hatte aber keine Lust, die Werkstatt anzurufen, denn dann wäre er nicht motorisiert….
Bei all der Trauer, die mich heute überkommt, muss ich über die vielen Scherze, seine amüsante Art, die Dinge zu beschreiben jetzt lächeln.
“Ich bin ein Zeitzeuge”, pflegte er zu sagen. Ja, das war er! Er hat in 100 Jahren so viel gesehen, erfahren und erlebt, wie es nur wenigen vergönnt ist.
Ich möchte ihm danken für die gute Zeit. Dafür, dass ich so viel lernen durfte von diesem wunderbaren alten Mann der mir immer in allen Bereichen mit wertvollen Tipps, Ratschlägen und freundschaftlicher Hilfe zur Seite stand.
Danke Paul Stecken. Ich werde Sie nie vergessen!