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Als ich vor Jahren einmal mit Herrn Stecken zusammensaß und wir mein im Entwurf schon fertiges Buch über ‚die Losgelassenheit des Pferdes‘ besprachen, sagte er zu mir: „Das wichtigste und die Basis für alles Weitere ist, dass schon junge Pferde lernen, den Hals fallen zu lassen. Darüber lernen sie, den Rücken herzugeben. Wenn sie das gelernt haben, fällt ihnen das Zügel aus der Hand kauen leicht und vieles geht bedeutend besser, einfacher und vor allem so, dass die Pferde keinen gesundheitlichen Schaden nehmen.
Wenn sie das jedoch nicht lernen oder erst sehr viel später erlernen müssen, dann ist in der Ausbildung schon vieles in die falsche Richtung gegangen und es wird alles sehr viel schwerer, auch da sich die Muskeln schon falsch gebildet haben… Sie sollten diesen Punkt immer im Kopf behalten.“

Losgelassenheit ist ein faszinierendes Thema und das war auch der Grund, warum das Buch entstand. Diesen Punkt hatte ich aber nicht berücksichtigt, da ich zu der Zeit noch dachte, dass Hals-fallen-lassen mit Zügel aus der Hand kauen lassen gleichzusetzen sind. Erst im Laufe dieses Gespräches begriff ich, dass das eine die Grundlage für das andere ist: Zuerst kommt das Hals fallen lassen und daraus entsteht aus der inneren und äußeren Losgelassenheit das Zügel aus der Hand kauen lassen. Dabei nehmen die Pferde das Gebiss an, stoßen sich davon ab und dehnen sich an das Gebiss anlehnend bei schwingendem Rücken und aktiv abfußendem Hinterbein vorwärts abwärts in die Tiefe. Dabei wird dann der Rücken gehoben und die oberen Bandstrukturen richten die Dornfortsätze auf und alle Muskeln arbeiten unverspannt und es kommt zu keinerlei Fehlbelastungen.
Das hört sich einfach an. Ist es auch, wenn die Pferde es vom ersten Tag ihrer Ausbildung an richtig lernen.

Es ist es aber nicht, wenn bei Pferden wie beispielsweise Bamboo in der Ausbildung erst einmal alles grundsätzlich falsch gelaufen ist. Man viel zu früh bei einem vollkommen unsausbalancierten, großen und wie Bamboo bewegungsstarken Pferd nicht die Grundlagen geschaffen hat, sondern direkt zu Lektionen und Versammlung übergegangen ist, ohne daran zu denken, dass das Pferd weder die notwendige Elastizität noch überhaupt irgendeine Muskulatur und damit die Kraft hat, so schwere Aufgaben zu lösen und zu leisten.

Dann stehen dem Hals fallen lassen, dem Zügel aus der Hand kauen lassen und dem Rücken hergeben nämlich alleine schon die vollkommen falsch entwickelten Muskeln im Wege – und zwar ziemlich. An den notwendigen Stellen sind die Muskeln nicht entwickelt, verkürzt, verklebt und verhärtet und da wo sie keiner braucht, haben sie sich gebildet. Leider auch so, dass die Muskeln einer geschmeidigen Bewegung im Wege stehen.
Bei solchen Pferden sieht man dann spektakuläre Bewegungen mit weit nach oben geführten / gerissenen Vorderbeinen und Hinterbeinen, die nur hinterher schleppen. So wie es Oberst Niemack seinerzeit so passend formulierte: „Vorne wird getrommelt und hinten kommen keine Soldaten.“

Bei diesen Pferden geht es dann darum, falsche Muskeln abzubauen, Kompensationsmuster aufzulösen und Muskeln an den richtigen Stellen aufzubauen. Erschwerend ist, dass man Muster, die das Pferd auch mental verinnerlicht hat, verändern muss. Angst vor Druck, Angst vor Strafen, Angst vor Überforderung. Das kann wie bei Bamboo unter anderem dann auch bedeuten, dass man aus einem Pferd, das die Freude an der Bewegung verloren hat, faul erscheint und triebig geworden ist, wieder ein Pferd machen muss, dass Freude an Bewegung unter dem Reiter hat.

Nicht selten ein langer und für alle Beteiligten mühsamer Weg….

Vor allem für den Reiter ist das körperlich unwahrscheinlich anstrengend. Diese Pferde gehen nicht fleißig vorwärts. Sie drücken in den Zügel, schieben den Hals Macht nach vorne, lassen sich schlecht stellen, von korrektem Biegen muss man gar nicht sprechen. Jede Seitwärts- Verschiebung ist ein eiliges auf die Schulter-Werfen, um nur nicht die Hinterhandgelenke beugen zu müssen. Für einen Reiter zum Verzweifeln. Man schnauft und pfeift aus dem letzten Loch. Reiten ist alles andere als ein Vergnügen und man überlegt jeden Tag aufs Neue, ob man heute nicht vielleicht longiert statt zu reiten oder besser noch einen Tag Pause einlegen soll….

Nicht selten muss man mit einer Gerte immer wieder zum fleißigen Vorwärtsgehen auffordern. Würde man das mit pausenlosem Treiben und Klopfen mit dem Unterschenkel erreichen wollen, würden diese Pferde am Bein immer stumpfer und der Weg zum Fleiß würde immer mühsamer. Diese Triebigkeit bringt noch ein weiteres Problem mit sich: Die Pferde ziehen immer mehr aus der Vorhand und schieben immer weniger aus der Hinterhand. Das hat leider auch gesundheitliche Konsequenzen: Verspannungen, Rückenprobleme, Fesselträger- und Sehnenschäden sind vielfach das Resultat.

 

Bamboo: Die Lösung des Problems ist ein Kraftakt für Reiter und Pferd

Bamboo beim ersten Longieren. Man sieht deutlich, dass er den Hals noch nicht reell fallen lassen kann.

 

Das Pferd muss als erstes wieder lernen, den Hals zu lassen. Dazu muss es fleißig vorwärts gehen. Wenn ich weiß, dass das Pferd diese Probleme hat, helfe ich mir über ein Ablongieren, ausgebunden mit Dreieckszügeln. Darüber kann man mit einer ausreichend langen Peitsche das fleißige Vorwärts-gehen und Durchtreten der Hinterbeine erreichen. Die Peitsche mit dem langen Schlag dient nicht dazu, das Pferd zu schlagen, sondern im Notfall dazu, das Hinterbein zu erreichen. Hat man eine kurze Peitsche, rennt man pausenlos ziemlich erfolglos hinter seinem Pferd her, braucht danach selbst ein Sauerstoffzelt und das Pferd hat kein nasses Haar. Kein Erfolgskonzept…

Die Größe des angelegten Zirkels ist ebenfalls wichtig. Ist der Zirkel zu klein, die Wendung zu eng, weichen die Pferde mit der Hinterhand nach außen aus, drängen über die Schulter weg und man zieht nur den Kopf nach innen. Damit erreicht man nur, dass sie sich noch mehr verspannen. Ist der Zirkel zu groß, vermeiden sie es, das innere Hinterbein und die innere Hüfte beugen.

Geht ein Pferd nicht mehr vorwärts, geht es weder um Lektionen noch um Versammlung. In dieser Phase muss das Pferd lernen mit dem Hinterbein wieder durchzutreten, den Hals an die Senkrechte vorzunehmen und das Gebiss bei ausreichend langem Zügel anzunehmen.

 

… und bei Bamboo?

Die Ausgangssituation von Bamboo:
Als Bamboo kam, haben wir nacheinander viele Dinge lösen müssen: Die Muskulatur war fest massiv verspannt und verklebt, er war in einem schlechten Futterzustand, durch falschen Beschlag entstandene Stellungsfehler, die Hufe zu klein, fehlerhafte Zehenachse, massive Hacken und Zahnprobleme, Beckenschiefstand, Rückenprobleme, Beweglichkeit von Schulter und Widerrist massiv eingeschränkt, Genick fest und schmerzhaft, Sehnen der Hinterbeine massiv unter Spannung, am linken Auge massiver Sehverlust durch eine alte Hornhautverletzung, die nicht behandelt wurde. Überbein am linken Hinterbein genau in Höhe der Sehne, instabiles Knie durch instabile Kniebänder.

Was getan werden musste:
Blutbild, Kotprobe, Zahnbehandlung, regelmäßige osteopathische Behandlungen, fast tägliche Dehnübungen und Massage, speziell auf ihn abgestimmte Fütterung, Entgiftung. Der Rücken wurde geröntgt, Überbein und Knie ebenso.
Abbau massiver Fehlbemuskelung, Behandlung des Auges zur Verbesserung des Sehvermögens, Abbau negativer Verhaltensmuster, Aufbau von Vertrauen, eigener /neuer Sattel (los-gelassen-Dressursattel), Trense, die Druck im Genick vermeidet mit extra langen Zügeln und passendem Gebiss.

 

Beim dritten Mal Reiten offenbarte sich bei Bamboo ein Problem, was sich in den ersten Tagen beim Longieren auch schon gezeigt hatte, dem ich aber keine große Bedeutung beigemessen habe. Er blockierte, lief rückwärts ohne sich anhalten zu lassen und begann dann, wenn ich ihn vorwärts treiben wollte, mir den Zügel blitzartig aus der Hand zu reißen und … zu steigen. Ich saß oben drauf und habe gedacht: Diesen Mist brauche ich jetzt auch noch … Was hätte ich anders machen müssen? Ist der richtig über die Uhr gedreht?
Tue ich mir das noch an….?

Da Bamboo auf dem linken Auge durch eine alte nicht behandelte Hornhautverletzung nicht gut sehen kann, habe ich überlegt, dass er sich vielleicht erschrocken hat und aus diesem Grund eine bestimmte Stelle nicht passieren wollte. Zumal es an dem Tag sehr windig war. So bin ich abgestiegen und habe ihn zu der Stelle geführt. Als wäre nichts, ist er brav neben mir her getrottet. Ich habe mich wieder drauf gesetzt und wollte dorthin reiten. Das gleiche Spiel wie zuvor. Ich konnte allerdings das Steigen durch Abwenden des Hals noch verhindern. An seiner Reaktion war jedoch zu erkennen, dass er DAS nicht zum ersten Mal macht… Er war schnell im Entziehen, Ausweichen und im Aufbau von massivem Gegendruck, um dann doch noch steigen zu können.
Ich saß auf dem Pferd, die Zügel auf dem Hals liegend und war wirklich am Überlegen, das Ganze in dem Moment zu beenden und ihn in Rente zu schicken.

Die Alternative war nicht ohne Risiko: Mich einmal mit ihm anlegen und hoffen, dass ich die Auseinandersetzung für mich gewinnen kann?! Da ich aus einem bestimmten Grund weder unsicher war noch Angst hatte, habe ich entschieden, dass das wohl einen Grund hat und wir jetzt da durch müssen. So habe ich es darauf ankommen lassen, um das mit einer gezielten‘ Meinungsverstärkung‘ auf das Hinterteil zu regeln. Dann im richtigen Moment die Hand vorzugeben, um ihm den Weg nach vorne zu ermöglichen. Glücklicherweise ließ sich die Angelegenheit so mit einem riesigen Satz nach vorne entschieden. Vermutlich hatte er damit nicht gerechnet. In solchen Situationen das Richtige zu tun ist nicht einfach. Es kann jede Entscheidung richtig sein oder auch falsch. Man muss das ganz genau abwägen und wissen, was man selbst wegstecken kann, denn ein Fehler kann zu einer Eskalation führen….
Manch einer wird jetzt denken: Ist das der richtige Weg?
Das Problem ist, dass man eine solche Situation in dem Moment und an dem Tag auflösen muss, da es sonst sein kann, dass man für immer verliert.
Bamboo ist kein Charakterschwein. Er ist hoch sensibel, eine Seele von Pferd und hat in der Vergangenheit aus Angst und Schmerz vermutlich irgendwann abgeschaltet und gelernt, sich über massiven Widerstand zu schützen. Er wird verinnerlicht haben, dass er ab einem gewissen Grad der Widersetzlichkeit nicht mehr misshandelt wird. Es ist kein böswilliger Vorsatz, aber trotz allem auch ein Rangordnungsproblem, was an dem Tag besprochen werden muss, an dem es auftritt. Findet man keine Lösung, kann es langfristig gefährlich werden.

Nachdem das geklärt war, ging es darum, ihm beim geringsten Entgegenkommen seinerseits sofort ganz viel zu loben, mit ihm zu sprechen, zu klopfen, zu streicheln. So gibt man Vertrauen und das Pferd lernt, dass Steigen nicht richtig ist.
Dann gilt es richtig vorwärts zu reiten. Hat man einen Steiger einmal so weit, dass er vorwärts geht, kann er erst einmal nicht mehr Steigen. Dazu muss er nämlich die Hinterhandgelenke beugen und dem Reiter den Zügel ein Stück aus der Hand ziehen, den Hals heben und den Rücken anspannen können.
Da ich nicht weiß, was in der Vergangenheit vorgefallen ist, kann ich anhand der Muskulatur und seinem Verhalten nur schließen, dass man sicherlich nicht besonders zimperlich mit ihm umgegangen ist. Ob man erreichen wollte, dass er als 6-/7-jähriger schon piaffiert oder ob man die Trabverstärkung mit nach oben gerissen Vorderbeinen à la Totilas noch spektakulärer werden lassen wollte – wer weiß?!

Der weitere Weg für Bamboo…

Um für das weitere Reiten Auseinandersetzungen dieser Art zu vermeiden, habe ich mich dann entschieden, ihn vor jedem Reiten ausgebunden mit Dreieckszügeln zu longieren. So sind mögliche Verspannungen gelöst, die allein durch das Auflegen des Sattels und den damit verbundenen Ängsten und Widerständen entstehen können.

Beim vierten Reiten war es etwas einfacher. Zwar noch sehr triebig und der Schritt eher ein Schleichen als ein fleißiges und geregeltes Schreiten, aber immerhin ohne weitere ‚Ausfälle‘. Getrabt und galoppiert bin ich nur im leichten Sitz. Dabei habe ich ihn immer wieder mit der Gerte angetippt, um das Hinterbein zum Durchtreten zu aktivieren und ganz viel geklopft sowie er auf meine Unterstützung reagiert hat. Ein solches Reiten kannte er vermutlich nicht und so ließ sich ein Muster aus Druck und Zwang für den Tag unterbrechen. Nach einigen Runden ließ er dann den Hals fallen und schnaubte zufrieden ab und ich war mit meiner Kraft am Ende. Das war der richtige Moment, um aufzuhören.

 

Irgendwie hatte ich mir das alles etwas einfacher und weniger anstrengend vorgestellt. Da man aber bekanntlich mit seinen Aufgaben wächst – auch wenn man in meinem Alter eher wieder schrumpft – ziehen wir das jetzt durch und sind gespannt auf den Moment, wo neben dem Rückwärtsgang auch der Vorwärtsgang wieder funktioniert… Dann ist vermutlich nur noch Schweben schöner ….

 

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