Manchmal regnet es nicht ein paar Tage einfach nur, sondern es schüttet 24 Stunden zehn Tage wie aus Eimern. Normalerweise macht uns Reitern das Wetter nichts aus, da es ja bekanntlich nur die falschen Klamotten gibt und nicht das verkehrte Wetter. Nach mehr als einer Woche hatte ich aber trotzdem keine Lust mehr auf «innerhalb von wenigen Minuten klatschnass» und so hatten unsere Pferde Pause…
Als dann endlich wieder die Sonne kam, habe ich Bamboo zwei Tage longiert, dann hatte er einen Tag frei. Am nächsten Tag dachte ich abends kurz vor Sonnenuntergang: Rauf und noch ein paar Runden reiten. Es ist so herrlich… Jetzt macht Reiten richtig Spass!
Er war im Schritt direkt locker. Liess sich stellen und biegen. Langgezogene Traversalen, auch schon kleinere Kurzkehrt und ich war mit mir selbst so richtig zufrieden und dachte noch: Wie schön! Der Knoten ist geplatzt.
Als ich dann anrabte, habe ich wie immer zuerst Zügel aus der Hand kauen lassen geritten.
Mittlerweile stand die Sonne schon sehr tief und das Licht spiegelte sich auf dem montierten Scharnier der Palettenbox. Ein herrlicher Abend mit einer herrlichen Stimmung.
Ich habe nicht weiter darüber nachgedacht, dass das reflektierende Licht ein Problem sein könnte und als Bamboo anfing im Vorbeireiten immer wieder zur Seite zu schiessen und Gas zu geben, habe ich ihn einfach nach innen gestellt und bin vorbeigeritten. Ich dachte mir: Da kann er jetzt aber mal durch. Ist ja albern!
Auf der nächsten Zirkelrunde bockte er dann einmal und ich war recht verdutzt. Ich habe dann den Fehler gemacht, einfach die Beine zuzumachen und wollte ihn nach vorne reiten und rums: Bremse rein und er stand kerzengerade in der Luft. Da ich damit nicht gerechnet hatte, kam ich beim ersten Steigen nicht gleich nach vorne und so stieg er noch mal. Beim zweiten Steigen konnte ich mich dann gegen den Hals lehnen und so das dritte Steigen abwenden.
Bamboo war angespannt und fest wie ein Brett. Er zitterte am ganzen Körper und ich war mehr als erschrocken über diese Reaktion. DAS musste ich erst einmal selbst verdauen.
Ich habe ihn ruhig stehen lassen, habe ihn lange gelobt, mit ihm geredet und nichts gemacht ausser zu warten bis er runter kam und sich schnaubend im Halten nach unten dehnte.
Als ich dann so in den Sonnenuntergang blickte, fielen mir die Worte der Augenärztin ein, die meinte, dass Bamboo heute keinerlei Druck mehr verkraften kann und man immer auf ihn warten muss, bis er etwas zulassen kann.
Ich habe den ganzen Abend noch darüber nachgedacht, was ich hätte anders machen und berücksichtigen müssen:
- Vielleicht hat er es mit seinem eingeschränkten Auge nicht mehr richtig sehen können?
- Vielleicht hat ihn der Lichtreflex erschreckt?
- Vielleicht reicht die kleinste Lichtveränderung und er kommt komplett aus dem Konzept, weil er nicht mehr so gut sehen kann?
- Vielleicht hätte ich über das Glotzen einfach hinweg reiten sollen und das zur Seite springen lobend ignorieren sollen?
- Vielleicht reicht schon eine Woche Pause und man muss bei ihm schon wieder einen Schritt zurückgehen?
- Vielleicht hat er seine Vergangenheit noch lange nicht verarbeitet?
- Vielleicht hätte ich ihn nicht nach Innen stellen und daran vorbeireiten sollen?
- Vielleicht hat er gespürt, dass ich ärgerlich war und das hat ihm Angst gemacht?
Vielleicht vielleicht vielleicht….
Ich habe an dem Abend noch lange über meine möglichen Fehler nachgedacht, mich über meine eigene Dummheit geärgert und mir überlegt, ob uns das sehr viel Vertrauen kosten wird und ich es mir jetzt wieder von Neuem erarbeiten muss.
Vorgestern habe ich ihn vor dem Reiten lange ablongiert und beim Reiten selbst das zur Seite springen ignoriert, ihn gelobt, mit der inneren Hand immer wieder übergestrichen, so dass er das Gefühl hatte, er kann zur Seite weg, wenn ihn etwas verunsichert und habe einfach mit ihm redend weiter gemacht. Ausgesessen habe ich nicht.
Gestern war alles wie nie da gewesen. Er war wie immer – zufrieden mit sich und der Welt und losgelassen.
Für die Zukunft weiss ich, dass ich bei ihm nicht davon ausgehen kann, dass irgend etwas verinnerlicht, vergessen oder verarbeitet ist und dass Kleinigkeiten grosse Wirkungen haben können, da sie für ihn eben keineKleinigkeiten sind.
Ich muss mich noch intensiver mit ihm auseinandersetzen und unterscheiden lernen, was Lümmeligkeit und was Unsicherheit bei ihm ist.
Er bleibt sicherlich eine Aufgabe fürs Leben…. Und ich lerne jeden Tag aufs Neue, dass ich meine Wünsch seinen Möglichkeiten anpassen muss…..
Und das mir … die ich genau das jeden Tag predige….
Genau diese Charaktereigenschaft, sich selbst zu hinterfragen, fehlt leider den Meistern „guten“ Reitern. In Anführungszeichen, weil, wenn sie wirklich gut wären, würden sie wie du reagieren.
Wir hatten übrigens mal einen Haflinger, der nach einer Fehlbehandlung einer Horhautverletzung mit Cortison eine so schlimme Komplikation hatte, dass er trotz Klinik und Augenärzten erblindete. Trotzdem war dieses Auge in bestimmten Situationen lichtempfindlich, da musste ich sofort dran denken, als ich das von Bamboo gelesen habe.
Danke
sehr schöner bericht. gefällt mir gut, die selbstreflektion. ist eben doch so: wenn man gut reiten möchte, muss man zuallerst und stetig an sich selbst arbeiten.
lieben gruss von einer anfängerin ; ))
svh