Auf den ersten Blick erscheint das 5-jährige Pferd in einer korrekten relativen Aufrichtung, die Nase an der Senkrechten. Auf den ersten Blick!
Bei genauerer Betrachtung jedoch sieht man, dass das Reithalfter zu eng verschnallt ist, die Zügel sehr kurz sind und der Reiter mit dem Oberkörper zu weit nach hinten verlagert ist. Das Pferd ist nicht taktrein. Es zeigt eine Einbeinsteinsstütze. Der Trab ist jedoch ein Zweitakt in vier Phasen. Das heißt, bei jedem Trabtritt müssen – soll der Takt sicher geregelt, also taktrein sein – immer zwei Hufe auf dem Boden berühren.
Ist das nicht der Fall weist das auf mehrere meist grundlegende Fehler hin:
- Der Rücken ist nicht hergegeben und das Pferd nicht ehrlich losgelassen.
- Der Reiter versucht den Trab so spektakulär und ausdrucksvoll darzustellen, dass das Pferd aus dem Gleichgewicht kommt und nicht mehr ehrlich aus der Hinterhand schiebt., sondern aus der Vorhand zieht.
- Das Pferd hat noch nicht die Kraft, eine solche Aufrichtung und Verstärkung über eine längere Tour zu halten.
- Die Aufrichtung ist von Hand herbeigeführt. Es handelt sich somit um absolute Aufrichtung.
- Der hier gerittene Mitteltrab kann vom jungen Pferd noch nicht gehalten werden, da ihm unter anderem die Kraft und Elastizität fehlen. Das zeigt sich in der fehlerhaften Fußfolge.
- Betrachtet man sich die Muskeln direkt hinter dem Sattel, erkennt man auch da die Verspannung und die Entwicklung einer ersten Fehlbemuskelung. Der Rücken ist direkt hinter dem Sattel abgesunken ist, statt in gerade oder leicht angehobener Form in die Kruppe quasi überzugehen. Nur wenn ein Pferd gelernt hat, den Rücken herzugeben, dann geht das eine harmonisch in das andere über.
- Das Pferd ist verspannt.
Felix Bürkner (1883 – 1957) war einer der großen Reitmeister der deutschen Reitkunst. Mit seinem weltweit bekannten Pferd Herder erarbeitete er sich international größte Anerkennung. Er hat bewiesen, dass man mit einem Pferd mit durchschnittlichen Anlagen und einem durchschnittlichen Gebäude alles erreichen kann, wenn man dem Pferd die Zeit lässt, die es braucht, um sich so zu entwickeln wie es ihm möglich ist. Er hat gezeigt, dass man manchmal einfach warten muss, bis Pferde die Kraft und Elastizität besitzen, sodass sie schwere Lektionen einfach anbieten. Allerdings erst dann, wenn sie es können.
Aus seinem Buch „Ein Reiterleben“ stammt die folgende Passage, die er im Zusammenhang mit Aufrichtung und Versammlung eines Pferdes niedergeschrieben hat:
„Sein ganzes Heil liegt lediglich und allein in einer bis zur Vollendung gesteigerten Campagneschule, in der die Pferde sich selbst tragen, absolut gerade gerichtet sind und schwungvoll und graziös vor den Hilfen der Reiter herfliegen – in freien Gängen sowohl wie in den versammelten. Nur daraus darf Versammlung und Aufrichtung soweit gesteigert werden, dass die Pferde gleichsam aus sich heraus Schullektionen im Ausdruck höchster Versammlung und vollendeter Aufrichtung anbieten.“
Aufrichtung und Versammlung mit Ruhe sicher erreichen
Heute muss immer alles schnell gehen und wir wollen spektakulären Auftritte sehen und das in allen Bereichen des Sportes. Das reduziert sich nicht nur auf den Reitsport. Dabei werden ausdrucksvoll und spektakulär jedoch oft verwechselt und so entstehen viele unschöne Bilder. Es wird mit Druck und Zwang gearbeitet und das endet immer in einer Sackgasse.
Man kann aber auch anders herangehen und dann führen Bemühungen zum Erfolg. Das mag im ersten Schritt länger dauern, ist aber im zweiten Schritt der kürzere Weg und somit geht es schlussendlich doch schneller, denn das Pferd bleibt gesund. Es entstehen keine krankheitsbedingte Ausfälle durch reiterliche Fehler und so hat das Pferd Spaß und Freude an der Bewegung und der Arbeit mit seinem Reiter.
Dann sieht man kaum mehr die Hilfen und alles erscheint, als komme es von selbst einfach so – spielerisch! Das fühlt sich leicht und kraftvoll an!
Das Pferd auf dem Foto ist deutliche fehlerhaft bemuskelt. Die Oberlinie wirkt kantig und unharmonisch. Der Rücken ist hinter dem Sattel abgesunken. Das ist beispielsweise ein Hinweis darauf, dass das Pferd im Hals dauerhaft zu eng im Hals geritten wird und somit das Hinterbein nicht mehr ausreichend aktiv abfußen kann.
Das Pferd hat eine runde Kruppe und eine harmonische Oberlinie, keine Absenkung des Rückens direkt hinter dem Sattel. Ein Hinweis darauf, dass sich das Pferd beim Reiten loslässt und sich in der Ausbildung sehr viel Zeit gelassen wurde, damit sich Muskeln richtig entwickeln können.
Die geistige Reife
Die Pferdezucht hat sich unglaublich verbessert. Es ist aber ein Trugschluss zu denken, dass deshalb die Pferde von heute in der Ausbildung weniger Zeit benötigen als die Pferde früherer Jahre. Selbst wenn sie heute vieles von der Natur mitbringen, was früher erarbeitet werden musste, auch wenn vieles schon vorhanden zu sein scheint, ist der Weg ein langer Weg. Bis die Muskulatur genügend gekräftigt ist, die Gelenke an Arbeit gewöhnt und die Pferde soweit gefestigt sind, dass sie physisch und psychisch den Anforderungen gewachsen sind, dauert es viel länger als man gemeinhin annimmt. Ganz besonders in der Ausbildung der Pferde sollte ein altes Sprichwort gelten “der Weg ist das Ziel”.
Es ist kontraproduktiv, in einer für das Pferd hochgradig stressbelastenden Situation zusätzlich grob einzuwirken. Sinnvoller ist es, den Zügel lang zu lassen, damit sich das Pferd auch innerlich wieder entspannen kann. Ein Loben ist besser als Strafen!
Zuerst einmal muss das Pferd geistig in der Lage sein, die ihm gestellten Anforderungen zu erreichen. Heute sieht man viele junge Pferde unsicher und gestresst. Das kann man an übermäßigem Schwitzen am Hals, an Verspannungen, am fehlenden Abschnauben oder am unruhigen Schweif erkennen. Viele Pferde werden widersetzlich, wenn Anforderungen zu hoch sind. Bei einem Anzeichen von mentaler Überforderung sollte der Reiter seine Anforderungen reduzieren und zurückkehren zu den Grundlagen und das so lange, bis sich das Pferd wieder ehrlich loslässt und das über die gesamte Zeit des jeweiligen Reitens.
Die körperliche Reife
Dann muss das Pferd für korrekte Aufrichtung und damit verbundene Versammlung Kraft und Muskeln aufbauen und das dauert mehrere Jahre. Da das Pferd erst mit Vollendung des fünften Lebensjahres körperlich so weit entwickelt ist, dass auch der Bereich des Kreuzdarmbeins verknöchert ist, sollte man versammelnde Lektionen vorher nicht über einen längeren Zeitraum reiten. Zu hohe Anforderungen, zu viel und zu früh in Aufrichtung geritten, führen neben Verspannungen schnell auch zu körperlichen Schäden. Versammlung und Aufrichtung müssen vorsichtig entwickelt werden und das nur über kurze Reprisen, wenn das Pferd bereit ist.
Das gleiche gilt für Trabverstärkungen wie Mitteltrab und Starker Trab. Sie gehören zu den höheren Lektionen und man sollte sie in den ersten Ausbildungsjahren wenn überhaupt nur über kurze Strecken reiten. Im ersten Ausbildungsjahr überhaupt nicht. Je nach Entwicklungsstand sind 40 oder 60 Meter für ein junges Pferd zu viel.
Beim Tritte oder Sprünge verlängern ist es sinnvoll, die ersten Monate leicht zu traben und beim Galoppsprünge verlängern im entlastenden Sitz zu reiten. Aussitzen oder tief einsitzen sollte man diese Lektionen erst, wenn das Pferd den Rücken hergibt und sich ehrlich losgelassen ist. Das erkennt man daran, dass man von dem entwickelten Schwung tief in den Sattel hinein gezogen wird. Muss man sich hingegen mit den Oberschenkeln festklemmen und mit dem Oberkörper nach hinten lehnen, um aussitzen zu können, dann ist der Rücken nicht hergegeben, das Pferd nicht losgelassen.
Von der Rippengeschmeidigkeit zur Rippenbiegung
Junge Pferde können weder eine enge Volte gehen noch ab einem gewissen Grad noch Zirkel verkleinern. Sie weichen dabei aus. Zwangsläufig. Die Rippenpartie muss durch häufige Handwechsel, große gebogenen Linien wie Schlangenlinien durch die ganze Bahn, aus dem Zirkel wechseln, durch das Reiten der großen Acht und häufige Handwechsel erst eine grundlegende Geschmeidigkeit erlangen. Danach kann man die Volten langsam von zehn auf acht und nach Jahren auf sechs Meter verkleinern. Mit der Zeit wird man die große Acht zu Beginn der Lösungsphase reiten und die kleine Acht in der Arbeitsphase. Erst beim weiter gerittenen Pferd kann man die Rippenbiegung verbessern.
Die Kraft in der Hinterhand und die Hankenbeugung verbessern
Das funktioniert beispielsweise mit Trab-Halten-Rückwärtsrichten und daraus wieder antraben. Denn neben der Verbesserung der Hankenbeugung fördert das auch die Schwungentwicklung. Halten aus dem Trab und Rückwärtsrichten sind jedoch keine Lektionen, die schon im ersten Ausbildungsjahr geritten werden sollten. Da Rückwärtsrichten ist eine versammelnde Lektion ist, würde das junge Pferd nur ausweichen oder die Hinterhandgelenke steifen. Dadurch erlernt es schnell ein fehlerhaftes Rückwärtsrichten, was in der weiteren Ausbildung dann schwieriger zu korrigieren ist.
Daneben eignet sich auch Kurzkehrt. Mit Kurzkehrt kann man das Hinterbein heranschließen und die Lastaufnahme verbessern. Beginnen sollte man mit dieser Lektion nicht zu früh in der Ausbildung und am Anfang sollte man sie auch sehr groß anlegen. Zu früh eine zu enge Wendung geritten verleitet das Pferd zum Ausweichen. Auch dieser Fehler lässt sich dann schwer beseitigen.
Das junge Pferd ist verspannt, was der unruhige Schweif zeigt. Die Hinterhand ist nicht herangeschlossen. Sie ist nicht gesenkt. Die Nase ist etwas hinter der Senkrechten, was die Lastaufnahme der Hinterhand zusätzlich erschwert. Das Pferd ist noch nicht reif für Kehrtwendungen auf der Hinterhand.
Die korrekte relative Aufrichtung und die Versammlung kommen,
wenn das Pferd die Kraft und Elastizität sowie die innerliche Ruhe, Gelassenheit und das Vertrauen zu seinem Reiter entwickelt hat von selbst. Dann nämlich entstehen Kadenz und Ausdruck spielerisch, ohne Druck und Zwang bei tätiger Hinterhand und gesenkter Kruppe. Das sieht man dann auch am Auge… denn das Auge ist der Spiegel der Seele…..